Zeit ist Geld: Wie wir unsere Handgriffe wirksamer gestalten und Arbeitszeit einsparen

Arbeitszeit ist der größte Kostenfaktor in der Marktgärtnerei, der nicht selten über den wirtschaftlichen Erfolg oder Nicht-Erfolg eines Betriebes entscheidet. Umso wichtiger ist ein achtsamer und effizienter Umgang mit der eigenen Zeit und der Arbeitszeit von Mitarbeitern.

Teil des Arbeitspakets „Betriebswirtschaft“ der Operationellen Gruppe Marktgärtnerei war deshalb auch der Bereich der Arbeitswirtschaft. Diese issenschaft hat ihre Wurzeln ursprünglich in der Industrie. Die zugrundeliegenden Aspekte wurden vor allem durch das von Toyota geprägte „Lean Management“ (zu deutsch: „schlankes Management“) bekannter. Die Grundidee: Arbeitsabläufe vereinfachen und den Arbeitsaufwand reduzieren, ohne die Arbeitsqualität zu beeinträchtigen. Das Ergebnis in vielen Fällen: Deutliche Reduktion der Arbeitszeit und dadurch mitunter beträchtliche Kosteneinsparungen sowie weniger Stress.

Lean Farming

Der gesamte Themenbereich der Arbeitswirtschaft ist längst auch in der Landwirtschaft angekommen und unter dem Begriff “Lean Farming” bekannt geworden. Im deutschsprachigen Raum ist Renate Spraul mit über drei Jahrzehnten arbeitswirtschaftlicher Erfahrung im Gemüse- und Gartenbau eine wichtige Wegbereiterin des „Lean Farming“. Sie hat auch die Operationelle Gruppe Marktgärtnerei begleitet und mittels Interviews, Foto- und Videodokumentationen sowie Workshops die wichtigsten arbeitswirtschaftlichen Aspekte für den Kontext der Marktgärtnerei aufgezeigt.

 

Dr. Renate Spraul beobachtet die Handgriffe bei der Tomatenernte auf einem der Praxisbetriebe der OG Marktgärtnerei. Dokumentiert wird sowohl schriftlich also auch mit Fotos und Videos. Die Auswertung erfolgt dann am Schreibtisch bei genauer Durchsicht der Videos in Zeitlupe. (Foto: Johannes Pelleter)

 

Jede Sekunde zählt

Spraul betont, dass Arbeitswirtschaft alle Bereiche der täglichen Arbeit in der Marktgärtnerei umfasst. Angefangen bei der Pflanze selbst, über die Optimierung der Kulturführung und der ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzes bis hin zur Mitarbeiterkommunikation und den einzelnen Arbeitsmethoden. In jedem einzelnen Bereich können viele verschiedene Faktoren so (um-)gestaltet werden, dass man mit der Arbeit „stressfrei früher fertig wird“. Ziel ist es nicht, schneller, sondern effizienter und flüssiger zu arbeiten. Das bedeutet, den Aufwand zu reduzieren bzw. die Methodik zu optimieren - und das ohne Einbußen in der Qualität. Jeder Optimierungsprozess beginnt mit der Überlegung, was man vereinfachen oder einfach weglassen könnte. Selbstverständlich ohne an Qualität einzubüßen. Arbeitsroutinen, die sich im Laufe der Zeit eingeschlichen haben, beinhalten oft Handgriffe, die gar nicht nötig wären.

Gemeinsam genau hinschauen

Um herauszufinden, was man weglassen kann, lohnt es sich, genau hinzusehen oder einzelne Tätigkeiten zu filmen. Dabei müssen alle Beteiligten vorab informiert werden, um ihr Einverständnis geben zu können. Bei der genauen Analyse der Filmaufnahmen (v.a. unter Zeitlupe) im Team entdeckt man oft überflüssige Handgriffe, derer man sich selbst gar nicht bewusst war. Wichtig ist, dass dabei die Arbeitsmethode im Mittelpunkt steht. Es geht nicht um die ausführende Person, die etwas “schlecht” oder “falsch” macht. Jeder Mensch tut Dinge “anders”, aber niemand macht absichtlich etwas “falsch”.

Durch das gemeinsame Anwenden und Üben der Erkenntnisse in der Praxis kann sich mit der Zeit eine lockere Lernkultur entwickeln, sodass Veränderungen nicht mehr als Gefahr, sondern als Chance wahrgenommen werden. “Leere“ Handgriffe auf diese Weise Schritt für Schritt zu reduzieren, kann in Summe eine große Veränderung bewirken und jede Menge Zeit einsparen, die dann für andere wichtige Dinge im Leben zur Verfügung steht.

Beispiel: Neue Methode für die Basilikumernte

Arbeiten anders auszuführen als bisher ist für Menschen eine Herausforderung. Man bricht mit einer Gewohnheit und will sich eine neue Routine erarbeiten. Die Veränderung von Handgriffen fühlt sich zu Beginn seltsam an. In der Übungsphase hat man oft sogar den Eindruck langsamer zu sein. Sobald jedoch Erfahrung in der neuen Methode vorhanden ist, geht sie flüssig von der Hand und man ist tatsächlich stressfrei früher fertig.

In diesem Beispiel werden zwei Techniken für die Basilikumernte verglichen:

 

Bisherige Methode mit zwei Übergabegriffen. Der Stiel muss nach dem Schneiden erst in die „Messer-Hand“ und dann in die „Sammel-Hand“ übergeben werden. (Foto: Renate Spraul)

Neue Methode, bei der der Stiel zwischen Daumen und Klinge eingeklemmt und dann durch eine Drehung der Hand über der Klinge abgebrochen und direkt in die „Sammel-Hand“ abgelegt wird. Dadurch wird ein Übergabegriff eingespart. Wichtig: Die Klinge liegt mit der flachen Seite am Daumen! (Foto: Renate Spraul)

 

Videovergleich Basilikumernte

 

Video: Renate Spraul

 

Neue Methoden brauchen Übung

Es braucht ein wenig Zeit, bis man neue Handgriffe auch wirklich beherrscht. Neue Bewegungen und neue Abläufe müssen erst gefestigt werden - erst dann ist ein Vergleich zur ursprünglichen Vorgehensweise aussagekräftig.

Im Beispiel der zwei Erntetechniken für Basilikum war bei der neuen Methode (Ziel-Methode) bereits nach 20 Vorgängen eine deutliche Zeiteinsparung zu erkennen (grüne Kurve in der rechts stehenden Grafik).

Wichtig ist immer eine genaue Unterweisung mit anschließender Übungsphase unter Beisein der einweisenden Person, sodass die Technik unter Aufsicht trainiert werden kann und ggf. Korrekturen möglich sind. Bei der eingeschulten Person ist ein achtsames Beobachten der Details und der Unterschiede in der Technik der Werkzeugnutzung wichtig.

Fazit

Allein durch diese verhältnismäßig kleine Veränderung der Handgriffe bei der Ernte von Basilikum lassen sich beim Schneidevorgang beträchtliche 30 % Arbeitszeit einsparen. Innerhalb einer einzigen Saison kann sich diese Reduktion der Arbeitszeit auf mehrere Stunden bis hin zu ganzen Arbeitstagen aufsummieren, die dadurch frei wird für andere Tätigkeiten.

Das Prinzip genauer Unterweisung und ausreichend Übungszeit ist übertragbar auf alle Unterweisungsvorgänge. Es lohnt sich, das Detail zu sehen und zu unterweisen, um effiziente Arbeitsmethoden in der Praxis umzusetzen und dadurch richtig Zeit einzusparen.

Erläuterungen zum Thema Unterweisung finden sich auch im Praxisguide Marktgärtnerei auf den Seiten 71 und 72). Der Praxisguide kann kostenlos heruntergeladen werden oder über den Verein Marktgärtnerei Österreich in gedruckter Form bestellt werden.

 
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Ergonomie in der Marktgärtnerei: Arbeitshöhe am Waschplatz optimieren